Warum haben Sie sich nach dem Studium für eine Promotion anstelle des Referendariats entschieden?
Mir hat im Schulpraxissemester viel Spaß gemacht, mit Schülerinnen und Schülern zu arbeiten. Ich habe aber gemerkt, dass die Rahmenbedingungen in der Schule nicht so gut zu mir passen. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Jugendlichen geradezu zu nötigen, sich mit meinen Themen auseinanderzusetzen. Auf Dauer stelle ich mir das ermüdend vor. Ich hatte daher gehofft, dass sich eine Alternative zum Referendariat auftut und wusste, dass es eine Option wäre, in die Forschung zugehen.
Ich habe Deutsch und Ethik studiert, konnte mir aber nicht vorstellen, dort fachdidaktisch zu forschen. Wie interessant Bildungswissenschaften sind, habe ich im Master gemerkt: da ging es in den Seminaren richtig in die Tiefe. Wir haben viel über Forschungsmethoden gelernt, aber auch welche Anwendungsmöglichkeiten Forschungsergebnisse in Schulen haben.
Ich habe zudem im Studium die ganze Zeit als Hilfskraft in der Arbeitsgruppe “Unterrichtsqualität in heterogenen Kontexten” gearbeitet und so Einblicke in Forschung und die Arbeitsbedingungen an einer Universität bekommen. Fragestellungen mit einer wissenschaftlichen Methodik gründlich zu untersuchen und sich dabei mit anderen am Lehrstuhl auszutauschen, die das genauso gerne machen: Das reizt mich sehr.
Sie ziehen für die Promotion von Mannheim nach Freiburg. Ist Freiburg die schönere Fahrradstadt?
Das kann ich leider nicht beurteilen. Ich bin immer von Heidelberg nach Mannheim gependelt und bin in Freiburg noch nicht Fahrrad gefahren. Primär komme ich aber ja auch für die Stelle nach Freiburg.
Ich hatte mit Meike Bonefeld, der zukünftigen Betreuerin meiner Dissertation, schon in Mannheim zusammengearbeitet und wusste sofort: Die Stelle ist es! Ich hätte eigentlich nie gedacht, dass ich als Lehramtsstudierende genügend Kompetenzen mitbringe, um in den Bildungswissenschaften zu promovieren. Wenn Meike mich nicht angesprochen hätte, ob ich Interesse an der Stelle hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich zu bewerben. Ich glaube aber, dass ein Lehramtsbezug einen großen Mehrwert für die Promotion bringt.
Ich habe natürlich keine riesige Lehrerfahrung, aber musste im Schulpraxissemester viel hospitieren und selbst Stunden planen und durchführen. Das bringt ein anderes Gespür mit sich, vor welchen Herausforderungen Lehrkräfte stehen und was sie brauchen.
Was reizt Sie an Ihrem Promotionsthema? Was denken Sie, was Sie während der Promotion erwarten wird?
Ich hätte mir nicht vorstellen können, im Elfenbeinturm der Theorie zu promovieren. Mir ist es wichtig, dass meine Forschungsergebnisse für die Schule einen Impact haben können. In meinem Projekt werde ich mich mit der Urteilsbildung von Lehrkräften beschäftigen, beispielsweise bei der Notengebung. Die hängt in der Praxis auch von unbewussten Annahmen der Lehrkräfte über die Schüler*innen ab.
Meine Betreuerin konnte schon zeigen, dass eine hohe Bias Awareness seitens der Lehrkraft eine Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Intervention zur Reduktion des Einflusses unbewusster Voreingenommenheiten ist. Durch eine Aufklärung über die Wirkung von Vorurteilen lässt sich dieser Einfluss also reduzieren. Das klappt aber nur bei Personen, die ein „besorgtes Bewusstsein“ für ihre Vorurteile haben. Ich möchte diese sogenannte Bias Awareness durch eine Intervention erhöhen.
Wir gehen damit über reine Grundlagenforschung zu Informationsverarbeitungsprozessen hinaus, denn wir überprüfen: Bringt das etwas in der Schule? So kommen meine Forschungsergebnisse auch direkt dort an, wo sie gebraucht werden, und sind nicht hinter Bezahlschranken versteckt. Bis es so weit kommt, wartet aber auch erstmal eine Menge Arbeit auf mich.
Wie könnte es nach der Promotion weitergehen?
In den drei Jahren wird so viel passieren, was ich noch nicht vorhersehen kann. Ich glaube es zwar nicht, aber vielleicht gefällt mir die Arbeit an der Universität doch nicht. Dann würde es mich an die Schule ziehen und ich könnte nach dem Referendariat an einem Gymnasium oder einer beruflichen Schule arbeiten.
Wenn ich an der Universität bleiben möchte, könnte ich direkt einen Postdoc in den Bildungswissenschaften anschließen. Oder ich qualifiziere mich für eine Professur in der Fachdidaktik, denn diese Stellen sind gerade schwer zu besetzen. Denn dafür braucht es nicht nur solides theoretisches Wissen, sondern auch einige Erfahrung in Schulen. Ich würde daher das Referendariat machen und nach drei Jahren Schulpraxis zurück an die Universität gehen. Jetzt aber freue ich mich erstmal total darauf, mich in viele neue Dinge einzuarbeiten. Sonst würde es mir auch langweilig werden!
Vielen Dank für das Gespräch!
Hinweis: Das Interview erschien zuerst in der UNIversalis-Zeitung (35. Ausgabe / 19. Jahrgang, Winter 2023)